Was ist Karma?

28. März 2022



Was ist Karma?

Das Wort Karma bedeutet in seiner Sanskrit-Übersetzung einfach "Handlung". Im westlichen Kontext wird es oft verwendet, um sich auf das Schicksal oder die Vorsehung zu beziehen. Der Buddha hat jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nicht seine eigentliche Bedeutung ist.

Karma bezieht sich auf das Naturgesetz, das das Wirken von Ursache und Wirkung beschreibt. Jede Handlung wird durch eine Reihe vorheriger Handlungen bestimmt, die voneinander abhängig sind, und jede Handlung löst eine Vielzahl von Folgehandlungen aus. Es ist das unpersönliche Spiel von Ursache und Wirkung, das kontinuierlich, unerbittlich und völlig leidenschaftslos ist.

«Sobald es ein abhängiges Entstehen gibt, gibt es Ursache und Wirkung. Sobald es Ursache und Wirkung gibt, haben unsere Handlungen Auswirkungen.»

— Jeffrey Hopkins

Menschen handeln auf drei Arten: mit dem Körper, der Sprache und dem Geist. Körperliche Handlungen sind offensichtlicher, denn schon eine kleine Bewegung kann enorme Folgen haben. Auch ist es möglich, zu erkennen, ob etwas Gesagtes eine heilende und verletzende Wirkung entfaltet. Das Wissen darüber, dass unser Geist immer handelt, auch wenn der Körper nichts tut und die Stimme schweigt, ist weniger vertraut und erfordert ein subtileres Verständnis davon, wie der Geist funktioniert und was die Ursachen sind, die Glück und Leid erzeugen.

 

Absicht und Karma

Ein Gedanke wie: „Da sitzt eine Mücke auf meinem Arm“, ist kein besonders emotionaler Geisteszustand. „Ich will sie töten!“ wäre schon ein stärkerer emotionaler Gedanke. Sollte ich die Mücke dann tatsächlich töten, würde der Gedanke durch eine Handlung bekräftigt und hätte die stärksten karmischen Auswirkungen.

Selbst wenn ich an einen Obdachlosen denke, ist das nur der Inhalt meiner Gedanken. Die Absicht, die diesen Gedanken begleitet, könnte mitfühlend sein, in der Hoffnung, dass die Person einen Platz findet, an dem sie sich im Winter aufwärmen kann oder grausam, in der Hoffnung, dass die Person in der Kälte erfrieren wird.

«Was immer ein Mensch häufig denkt und darüber nachdenkt, das wird zur Neigung seines Geistes. Wenn das Denken eines Menschen häufig von bösem Willem durchdrungen ist, wird sein Geist durch dieses von bösem Willen durchdrungenen Denken verborgen.»

— Majjhima Nikaya, 19

Das Handeln des Geistes wird also von einer Absicht angetrieben. Wenn wir zu Wut neigen, werden wir uns wütend fühlen und dementsprechend handeln, wodurch noch mehr Wut erzeugt wird. Ist unsere Absicht freundlich und handeln wir entsprechend, werden wir umso mehr Freundlichkeit hervorrufen.

Die Idee des Karmas wird manchmal durch eine fatalistische Interpretation leicht verzerrt. Doch die Tatsache, dass schwierige und schmerzvolle Situationen, die wir erleben, auf frühere Handlungen zurückzuführen sind, bedeutet nicht, dass wir nicht daran arbeiten können, diese jetzt und in Zukunft zu lindern. Denn Karma beinhaltet zum einen die vergangenen Handlungen, die die Gegenwart formen, und zum anderen die gegenwärtigen Absichten und Handlungen, die die Zukunft formen werden.

Handeln wir also mit Freundlichkeit, Mitgefühl und Grosszügigkeit, machen wir uns selbst zu einer Person, die freundlich, mitfühlend und grosszügig ist. Wir formen unseren Charakter. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Welt um uns herum aus.

 

Unwissenheit und Karma

Unwissenheit bezieht sich insbesondere darauf, nicht zu wissen, wie die Dinge wirklich sind. Wir kennen die wahre Natur der Dinge nicht und darüber hinaus konstruieren wir Vorstellungen darüber, was wir für die wahre Natur der Dinge halten. Aus diesem Missverständnis heraus nehmen wir die Erscheinungen der Phänomene als wahrhaft existent an, auf einer dauerhaften und unabhängigen Basis.

Im buddhistischen Kontext hören wir oft, dass Unwissenheit Karma erzeugt. Aber was bedeutet das?

Ich habe oft darüber nachgedacht und konnte lange keine rechte Antwort darauf gefunden, bis dem Tag, als ich aufgrund eines Seminars regelmässig mit einer Freundin aus Singapur telefonierte. Am dritten Tag unseres täglichen Videoanrufes sagte sie: „Du trägst jeden Tag die gleichen Sachen. Duschst du überhaupt?“

Zuerst war ich sprachlos, dann fühlte ich einen kleinen Stich der Verletzung, und dann dachte ich: "Ist das nicht eine karmische Spur, die durch Unwissenheit entstanden ist?" Ich konnte täglich im Video sehen, dass sie im heissen Singapur ein anderes T-Shirt trug. Auch ich trug jeden Tag einen anderen, frisch gewaschenen Pullover, aber da es in Europa Winter war, zog ich jeden Tag dieselbe wärmende Strickjacke darüber, bevor ich mich zum Telefonieren im kühlen Raum niedersetzte.

«Wenn du dein vergangenes Leben kennen möchtest, dann sieh dir deine gegenwärtigen Umstände an; wenn du dein zukünftiges Leben kennen möchtest, dann schau deine gegenwärtigen Handlungen an.»

— Padmasambhava

Da ich hinter den Worten meiner Freundin keine verletzende Absicht vermutete, überwand ich schnell meine anfängliche Überraschung und Verletzlichkeit. Ich hatte auch nicht das Bedürfnis, das Thema weiter zu vertiefen, zumal ihre Worte für mich eine wertvolle Erfahrung darstellten. Aber die Erfahrung zeigte auch, wie leichtfertig und unwissend Worte verletzend werden können und wie wichtig es ist, auf die eigenen Gedanken und Worte zu achten.

 

Bedingtes Entstehen und Karma

Karma findet seinen vollen Ausdruck in der zweiten Edlen Wahrheit, wie sie vom Buddha gelehrt wurde:

«Und dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit über den Ursprung des Leidens: das Verlangen, das zu weiterem Werden führt - das Verlangen nach sinnlichem Vergnügen, das Verlangen nach Werden, das Verlangen nach Nicht-Werden.»

— Buddha

In diesem Sinne sind alle Phänomene das Ergebnis des Zusammentreffens von Ursachen und Bedingungen in einem ständigen abhängigen Entstehen, das auf der Tendenz beruht, das Angenehme zu ergreifen und das Unangenehme abzuwehren.

Die Unwissenheit ist eines der zwölf Glieder, aus denen das Gesetz des abhängigen Entstehens besteht, und ist der Ursprung des abhängigen Entstehens. Die Lehre von der kausalen Interdependenz beschreibt das Gesetz der Natur, das sich im natürlichen Lauf der Dinge und in der ständigen Abfolge von Leben, Tod und Wiedergeburt ausdrückt. Alle Facetten der natürlichen Ordnung sind miteinander verknüpft und können nicht voneinander getrennt werden.

Wenn wir ein tiefes Verständnis für das Gesetz von Ursache und Wirkung entwickeln und erkennen, dass jede einzelne Handlung eine bestimmte Folge hat, können wir bei allem, was wir denken, sagen und tun, gewissenhafter sein. Wenn wir ausserdem erkennen, dass heilsame Handlungen unweigerlich zu Glück und unheilsame zu Leid führen, können wir achtsamer mit unseren Gedanken und Gefühlen umgehen und eine umfassendere Perspektive für unser eigenes Verhalten entwickeln.

 

Individuelles und gemeinschaftliches Karma

Der verstorbene Zen-Meister Thich Nhat Hanh wurde einmal gefragt: „Warum haben die Menschen unterschiedliches Karma“? Und er antwortete: „Bist du sicher“?

Wenn wir zum Beispiel zu einem Retreat zusammenkommen, meditieren wir gemeinsam in einer gemeinschaftlichen Handlung. Die Meditation, das Zusammensein und der Austausch sind für uns und für die Gemeinschaft von Nutzen. Doch auch innerhalb einer Gemeinschaft sind die Individuen erkennbar. Es gibt jene, die mitfühlender handeln als andere. Manche können ihre Sorgen oder ihren Kummer schnell loslassen, andere brauchen länger. Jedes Karma, ob individuell oder kollektiv, wirkt sich auf das Ganze aus.

 «Es gibt keine absolute Individualität, wie es keine absolute Gesamtheit gibt. Das ist die Wahrheit. Jedes Karma beeinflusst uns. Daher sind unsere Handlungen, unser Karma, weder gleich noch unterschiedlich.»

— Thich Nhat Hanh

Karma ist sowohl sehr einfach als auch sehr komplex. Wie alle buddhistischen Lehren wird es nicht gelehrt, um die Schüler zu entmutigen, sondern um sie zu inspirieren. In seiner einfachsten Form ist es dreifach logisch: Wie ist meine Situation? Wie bin ich hierher gekommen? Was werde ich dagegen tun?

Die Ursachen und Bedingungen, die uns in unsere derzeitige Situation gebracht haben, sind komplex, ja sogar unergründlich, und wir können nichts dagegen tun. Es ist unser ererbtes Karma. Aber dieses Erbe hindert uns nicht daran, jetzt Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Zukunft auswirken können. Werden wir uns durch Achtsamkeit der Natur unsere Handlungen bewusst, können wir unser Karma, tatsächlich ändern. Wir säen jetzt die Samen, wie weiteres Glück schaffen und zukünftiges Leiden verhindern. Karma ist eine tiefgründige Lehre, die es wert ist, dass wir sie aufmerksam betrachten. Viel Glück!

 

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Therese Pechstein arbeitet als Online-Redakteurin für ein Medienanalyseunternehmen. Seit mehr als zwanzig Jahren bereist sie die Länder Asiens und praktiziert seit zehn Jahren intensiv Vipassana Meditation unter ihrer laotischen Meisterin Mae Phra Thongkeo. Seit 2019 unterstützt sie das Landguet Ried