Vipassana Meditation: Was steckt hinter der beliebten Meditationsmethode?
2. Februar 2022
Neben der bekannten Meditation auf den Atem werden heutzutage viele weitere Meditationsformen praktiziert. Zum Teil haben sich diese erst in der Moderne entwickelt. Die Vipassana Meditation stellt jedoch eine der ältesten Meditationsformen dar.
Was ist Vipassana Meditation?
Bereits vor etwa 2.500 Jahren war die Vipassana-Meditation in Indien bekannt. Die Silbe «vi» bedeutet in Pali klar oder vielfältig, «passana» bedeutet sehen. Vipassana wird daher oft mit Einsicht übersetzt. Bei Vipassana-Meditation geht es also um die geistige Entwicklung, um eine klare Einsicht in die wahre Natur der Dinge zu erlangen.
Um die Übungsmethode verstehen und vertiefen zu können, gilt es zu erkennen, dass Körper und Geist vergänglich sind, dass das Leiden alles durchdringt und dass es so etwas wie ein autonomes, unabhängiges Selbst nicht gibt.
In der Praxis besteht die Vipassana-Meditation in der Entwicklung der vier Grundlagen der Achtsamkeit:
Die Betrachtung des Körpers.
Die Betrachtung der Empfindungen.
Die Betrachtung der Geisteszustände bzw. des Intellekts.
Die Betrachtung der Geistesobjekte bzw. der Phänomene.
Was ist förderlich für die Vipassana Meditation?
Zu Buddhas Zeiten sollten die Meditierenden folgende vier günstige Bedingungen für die Übung berücksichtigen:
Geeigneter Wohnplatz, der Ruhe förderlich, ungestört durch Lärm, zum Beispiel im Wald.
Gesundes Essen, das leicht zu bekommen ist.
Ein guter Mensch, ein spiritueller Freund oder ein Meditationslehrer, der den Übenden anleitet.
Angepasste Methode, das heisst, eine Meditationsübung, die der Veranlagung des Meditierenden angepasst ist, so dass sich weder Anspannung noch Entspannung zu stark entwickeln.
In heutiger Zeit sollten wir nach einem Meditationszentrum Ausschau halten, wo Vipassana gelehrt wird und die vier förderlichen Bedingungen, wie beschrieben vorhanden sind, das heisst eine angenehme Unterbringung, mit leichten und angemessenem Essen und einem Lehrer, der in Vipassana-Meditation geschult ist, und wo die Methode auf die Meditierenden abgestimmt ist.
Selbst wenn man schon viele Bücher gründlich studiert hat, ist es dennoch die Anleitung durch einen Meditationslehrer notwendig, der einem die korrekte Übung nahebringt. Aus dem Studium der Schriften kennen wir nur die geschriebenen Worte, während wir in der Praxis persönlich Bekanntschaft mit den natürlichen Phänomenen machen, wie sie wirklich sind. Und da gibt es Unterschiede, je nach der individuellen Entwicklung, unseren Fähigkeiten und Veranlagungen, unseren Stimmungen und Gefühlen.
Für wen eignet sich die Vipassana Meditation?
Der Prozess des Vipassana könnte als «Selbsterkenntnis durch Selbstbeobachtung» beschrieben werden. Das menschliche Leben wird durch eine unbewusste Fixierung auf Glückszustände definiert, denn unsere Gesellschaft ist heute grösstenteils materialistisch aufgestellt. Das Bedürfnis nach materiellen Gütern wächst. Mächtige Begierden zwingen uns, unablässig für die Befriedigung unserer Wünsche zu arbeiten.
Aufgrund dieser Entwicklung interessieren wir uns nicht mehr für unser geistiges Wohl. Wir sind geistig starr und angespannt. Und diese führt zu Unzufriedenheit, Leiden und Depressionen.
Vipassana Meditation ist für Menschen geeignet, die sich aus dieser geistigen Starre befreien möchten, so dass die Verkrampfung abfällt und der Geist friedlich und ruhig wird. Viele Menschen sind daran interessiert, zu verstehen, was sie antreibt. Sie möchten die Kraft finden, ihre Alltagsprobleme gelassen zu bewältigen. Vipassana-Meditierende möchten ihre gegenwärtigen Ansichten hinterfragen, weil sie unter deren Beschränkungen leiden.
Was erwartet dich auf einem Vipassana Retreat?
Die Bedingungen für ein mehrtägiges Vipassana Retreat ähneln sich in fast allen Meditationszentren. Nach den dort geltenden Teilnahmebedingungen muss man sich richten. Dazu gehören ethisches Handeln, Konzentriertheit, geistige Reinigung und Introspektion.
Während des Retreats geht es darum, die eigenen Gedanken bewusst wahrzunehmen und zu beherrschen. Konzentration kann zunächst durch die klassische Meditation auf den Atem erlangt werden. Danach jedoch sollte man seine Achtsamkeit auf die Beobachtung der Gefühle, Empfindungen und Gedanken lenken.
Welchen Effekt hat ein Vipassana Retreat?
Normalerweise ist unser Geist daran gewöhnt, ständig von weltlichen Objekten umgeben zu sein. Wir sind mit diesen körperlichen Empfindungen durch Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist verbunden. Unsere Sinne verursachen Wohlbefinden und Unwohlsein, Vorliebe und Abneigung, Freude und Trauer, Glück und Kummer. Und das ohne Unterbrechung.
«Frieden in uns selbst ist an demselben Ort zu finden wie Aufregung und Leid. Er ist nicht in einem Wald oder auf einem Berggipfel zu finden, noch wird er von einem Lehrer gegeben. Wo wir Leiden erfahren, können wir auch Freiheit vom Leiden finden. Der Versuch, vor dem Leiden wegzulaufen, bedeutet in Wirklichkeit, ihm entgegenzulaufen. »
— Ajahn Chah
Vipassana ist eine Art geistiges Training. Wir erkennen, wie Gefühle uns davontragen und wie oft wir unzufrieden und unglücklich sind. In der Vipassana Meditation üben wir, das Verlangen, die Ursache des Leidens, loszulassen.
Vipassana Meditation führt zu innerer Ruhe und Gelassenheit. Durch die Meditation sind wir aufmerksamer und konzentrierter. Wenn wir uns auf die rechte Weise konzentrieren können, dann werden Frieden und Harmonie unseren Geist erfüllen. Nach einiger Zeit ist es auch möglich, die Meditation im täglichen Leben auszuüben. Schon jedes Bewusstmachen einer Handlung ist Meditation. Achtsamkeit während der alltäglichen Aktivitäten kann sehr nützlich sein, da wir die Dinge viel schärfer sehen und dadurch bessere Entscheidungen treffen können.
Sogar Wochen nach einem Retreat sind die Effekte von grösserer Achtsamkeit und verbesserter Konzentrationsfähigkeit noch spürbar. Der Stresspegel ist abgeflacht. Ängste sind oft schwächer ausgeprägt. Der Umgang mit psychischen Problemen wird leichter und praktikabler.
Meine persönlichen Erfahrungen mit Vipassana
Meine ersten Erfahrungen mit Vipassana machte ich in einem Meditationszentrum der Waldtradition in Laos. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich gar nicht meditieren. Journalistische Neugier hatte mich an diesen Ort gebracht. Doch als ich das Gelände des Zentrums betrat, veränderte sich etwa in mir. Es war, als würde ein leichtes Vibrieren mein Herz erfassen, ein Hauch von Hoffnung stieg in mir auf. Doch Hoffnung wonach? Meine Neugier war geweckt und ich beschloss, einige Zeit im Zentrum zu verweilen, um mehr über dieses geheimnisvolle Vibrieren herauszufinden.
So begann meine erste Meditation. Ich blieb zehn Monate im Zentrum und meditierte zehn Stunden täglich zusammen mit den anderen Teilnehmern, die sich aus kranken laotischen Menschen aus den Dörfern und drogenabhängigen Jugendlichen zusammensetzten. Den Weg der Lehre Buddhas wollte hier niemand erkunden. Die Menschen wollten gesund werden. Und die Meditation sollte ihnen dabei helfen, nachdem alle anderen Wege versagt hatten.
Keiner der Teilnehmer oder Lehrer sprach Englisch, ich kein Laotisch. Manchmal fragte ich bei den Damen der Verwaltung nach, die Englisch sprachen. Doch meist erhielt ich als Antwort: sitze und beobachte. Und das tat ich dann auch.
Zuerst beobachte ich die Menschen, um den Ablauf zu begreifen. Dann beobachtete ich die Vögel im Garten und allmählich begann ich mich selbst zu beobachten. Was machten meine Gedanken? Wie fühlte ich mich unter den ständigen Blicken der Einheimischen? Wie ging ich mit den Ratschlägen um, die sie mir lächelnd aber auf Laotisch gaben, einer Sprache, ich nicht verstand? Und wie veränderten sich meine Handlungen?
Erst als ich nach Europa zurückkehrte, wurde mir bewusst, was ich in Bezug auf die buddhistische Praxis gelernt hatte. Vor allem nachdem ich mir deutschsprachige Lehrer gesucht hatte. Aber an meinen Handlungen und Gefühlen konnte ich sofort erkennen, was sich in mir verändert hatte. An meiner unbändigen Freude, als bei einer Frau die Haare wieder zu wachsen begannen, obwohl die Ärzte ihr keine Überlebenschance mehr gegen den Krebs gegeben hatte oder als der alte Herr, der nach seinem Schlaganfall sich über Wochen mit seinen Krücken abmühte, endlich wieder zu laufen begann.
Ich sah es an der Gruppe von Jugendlichen, mit denen ich ein Schweigeretreat zusammen machte, nachdem sie ihre Amphetaminabhängigkeit überstanden hatten. Wir sprachen kein Wort miteinander, doch uns verband eine tiefe Vertrautheit, die bis heute anhält und sich auch nach Jahren noch zeigt, wenn wir uns im Zentrum begegnen.
Es sind diese Momente, die mir die Meditation so wertvoll machen. Momente, in denen ich frei bin und bedingungslose Freude, Dankbarkeit und Anteilnahme spüren kann. Ein Gefühl davon zu bekommen, was es bedeuten kann, wirklich frei zu sein. Vielleicht ist dies der Hoffnungsschimmer, den ich an meinen ersten Tag im Meditationszentrum verspürte: das es da einen Weg gibt, der Freiheit verspricht.
Ich habe mittlerweile verschiedene Meditationsretreats in Deutschland und der Schweiz besucht und durfte dabei lernen, was Vipassana bedeutet und beinhaltet. Ich schätze diese Art der Meditation und der Wissensvermittlung. Dennoch kehre ich immer wieder nach Laos zurück, um in einer Umgebung zu meditieren, in der der alltägliche Umgang mit den Menschen und die eigene Beobachtung meine alleinigen Lehrer sind.
Möchtest du deine eigenen Erfahrungen in der Vipassana-Meditation vertiefen oder hast du Lust bekommen, diese Art der Meditation einmal auszuprobieren? Das Landguet Ried bietet in den nächsten Monaten mehrere Gelegenheiten dazu. Erfahre hier mehr.
Therese Pechstein arbeitet als Online-Redakteurin für ein Medienanalyseunternehmen. Seit mehr als zwanzig Jahren bereist sie die Länder Asiens und praktiziert seit zehn Jahren intensiv Vipassana Meditation unter ihrer laotischen Meisterin Mae Phra Thongkeo. Seit 2019 unterstützt sie das Landguet Ried