KONTEMPLATIVE PSYCHOTHERAPIE: DREI WELLEN DER ENTWICKLUNG
24. August 2021
Ein Gespräch zwischen Joe Loizzo und Begoña Martinez
Joe Loizzo: In der Entstehung der achtsamkeitsbasierten oder kontemplativen Heilung, ist Achtsamkeit nur die erste Entwicklungsstufe von drei. Die drei grossen Wellen, wie ich sie nenne.
Wie können wir unser Wohlbefinden und unsere achtsame Präsenz in einer Welt aufrechterhalten, die von Stress geprägt und sehr geschäftig und anspruchsvoll ist? An dieser Stelle kommt die Praxis des Mitgefühls ins Spiel.
Die zweite Welle der buddhistischen Psychologie und kontemplativen Psychotherapie basiert auf Mitgefühl. Sie integriert den gezielten Einsatz von Achtsamkeit, um das zu kultivieren, was wir weises Mitgefühl und positive Emotionsregulation nennen.
All dies sind nur Ausschnitte aus einer jahrhundertelangen Tradition, die nun Gegenstand der nächsten Etappe neurowissenschaftlicher Forschung ist. Wir lernen, wie wir durch Mitgefühlstraining das Nervensystem und die Psyche verändern können und wie wir unseren durch Traumata oder schwierige Interaktionen mit anderen ausgelösten sozialen Stress transformieren können.
Darüber hinaus geht das Nalanda Contemplative Psychotherapy Programm einen Schritt weiter, indem es eine dritte Welle von Entwicklungen innerhalb der kontemplativen Traditionen erforscht: Verkörperungspraxis und Ansätze bildlicher Vorstellungen, ergo Visualisierungen.
Durch unsere Forschungen zu Trauma und der Polyvagal-Theorie wissen wir mittlerweile, dass viele Dinge, unter denen wir leiden – seien es frühkindliche Traumatisierungen, Konditionierungen oder bestimmte Arten von instinktiver Reaktivität – von der Gesprächstherapie nicht wirklich erfasst werden.
Selbst mitfühlende Ansätze haben es schwer damit umzugehen. Wir beginnen, die Kraft verkörperter Ansätze zu verstehen, wie z. B. Visualisierungen, Narrative, transformierende Narrative und Selbstausdruck, Atemarbeit, Bewegung und Körperhaltung.
Die buddhistische Überlieferung hat 4000 Jahre damit verbracht, zu erforschen, wie man diese Methoden in einer kraftvollen, konzertierten Weise einsetzt, die die tiefst mögliche Umstrukturierung des Nervensystems ermöglicht. Darüber hinaus hat der Lehrplan der Nalanda-Universität die drei Aspekte des Geistes, der Wissenschaft und der kontemplativen Praxis in ein umfassendes Programm integriert. Ein vollständiges Curriculum, das alle verschiedenen Formen der buddhistischen Psychologie und Heilpraxis umfasst.
Begoña Martinez: Das klingt sehr interessant, Joe. Ich danke dir. Wie kann dieses Curriculum deiner Meinung nach in der gegenwärtigen Situation, in der sich unsere Gesellschaft befindet, den im Gesundheitswesen Tätigen, den Psychotherapeuten und Coaches, den Sozialarbeitern und der Gesellschaft im Allgemeinen zugutekommen? Welche Art von Methoden können Fachleute in ihren Fundus aufnehmen, und welche anderen Mittel kann sich der Laie aneignen?
In den letzten fünf Jahrhunderten hat sich unsere Kultur zunehmend ihrer eigenen kontemplativen Methoden entledigt, welche zu Selbstregulierung und emotionaler Transformation beitragen.
Den Bildungs- und Gesundheitssystemen der modernen Gesellschaft fehlen die Mittel, um zu lernen, wie wir unseren eigenen Geist und unser Nervensystem regulieren können.
JL: Eines der Dinge, die alle unsere Studierenden als sehr wirkungsvoll erachten, ist, dass sie eine Art komplette Nachschulung von Grund auf erhalten. Es geht nicht nur um das Erlernen spezifischer Werkzeuge wie Achtsamkeitspraxis oder Mitgefühlstraining oder um verkörperte Meditation und verkörperte Atmung. Es geht auch darum, die vielen Belastungen und Stressfaktoren zu verstehen, die in diesem digitalen Zeitalter der Informationsüberflutung und der zunehmenden globalen Geschwindigkeit des Wandels auf uns zukommen. Ganz zu schweigen von der sozialen Krise, mit der wir in Bezug auf Ungleichheit, ethnische Konflikte und Klimawandel konfrontiert sind.
Die Methoden, die wir erlernen, befähigen uns, unseren Geist und unser Nervensystem zu unterstützen und unser inneres Umfeld widerstandsfähig, gelassen und positiv zu halten, so dass wir auch wirklich in der Lage sind, unser Leben mit seinen Forderungen und Herausforderungen engagiert und wirksaml zu gestalten.
Egal, ob Teilnehmende in der Psychotherapie, im Lehrerberuf, im Coaching oder in der Unternehmenswelt tätig sind, wir vermitteln ihnen, wie sie eine tiefe, umfassende und konsequente Achtsamkeitspraxis entwickeln können und wie sie diese vor dem Hintergrund ihrer ursprünglichen Herkunft verstehen können.
Zu den Werkzeugen gehören drei Entwicklungsstufen der Praxis, eben die drei grossen Wellen, die ich bereits erwähnt habe: Achtsamkeit oder Aufmerksamkeitsschulung, Mitgefühl oder Regulierung unserer Emotionen und die Verkörperungspraxis, mit der wir lernen, unser autonomes Nervensystem zu regulieren.
Wir vom Nalanda Institute sind der Meinung, dass es dringend eine Gegenbewegung braucht, eine Kultur von kontemplativer Lebensweise und Sinnhaftigkeit.
Um in einer solchen Kultur ein kreativer Vertreter zu sein, ist es notwendig, dass Menschen ursprüngliches Denken, die Wissenschaft sowie psychologische Weisheit verstehen. Ein Verstehen darüber wie der Geist funktioniert, wie das Bewusstsein funktioniert und wie dieses mit Emotionen und dem Körper in Beziehung steht.
Aus diesem Grund verbinden wir die Menschen mit der Geschichte und den traditionellen Strukturen der Psychologie und der Transformation, und zwar aus einer multidisziplinären Perspektive, die auch die ethische und soziale Komponente, die gemeinschaftliche Dimension von Wohlbefinden umfasst.
Wir glauben, dass die Psychotherapie zwar individuell ausgerichtet ist, die Pathologie jedoch nicht. Stress ist ein Ereignis, das in Verbindung mit Familie, Gesellschaft und Kultur auftritt. Von der Gesellschaft auferlegte Stereotypen, Rollen und Identitäten oder ein übertriebener Fokus auf Konsum belasten den Einzelnen, müssen aber aus einer systemischen Perspektive betrachtet werden.
BM: Du hast dieses Fortbildungsprogramm bereits in verschiedenen Ländern innerhalb der USA durchgeführt. Ich glaube, in New York, San Francisco und auch in spanischsprachigen Ländern.
Seit wann führt ihr dieses Fortbildung durch? Du musst mittlerweile wahrscheinlich ein gutes Gespür für die Resonanz der Menschen auf dieses Curriculum haben.
Nun bringen wir es gemeinsam in den deutschsprachigen Raum, spezifisch in die Schweiz. Wir freuen uns sehr darüber. Bitte berichte uns ein wenig über die Erfahrungen, die du bereits gemacht hast.
JL: In der Tat befinden wir uns im neunten Jahr der Fortbildung in Kontemplativer Psychotherapie, und die Erfahrung war, und ist noch immer, für alle Beteiligten eine tiefgreifende.
Kontemplatives Lernen ist eine erfahrungsbasierte, transformative Reise. Wenn wir eine Gruppe von Studierenden um uns versammeln, schaffen wir auch eine Gemeinschaft der Heilung und Entwicklung. Ein Verbund in der die Menschen eine andere Art des Lernens und der Verbindung zu Gleichgesinnten erleben. Wir beobachten, dass Menschen im Laufe eines Jahres eine sehr tiefe persönliche Transformation durchlaufen.
Auch beruflich kann es zu einem Umschwung kommen. Die Teilnehmenden wenden ihre Erfahrungen an und bringen sie in die Gemeinschaften ein denen sie angehören und zuarbeiten, sei es in Schulen, Krankenhäusern, Unternehmen, Berufspraxen oder in der Forschung.
BM: Vielen Dank, Joe, es hat uns sehr gefreut, von den vielen Aspekten zu hören, die diese Fortbildung zu bieten hat.
Wir freuen uns darauf, dich und dein Team im nächsten Oktober bei uns begrüssen zu dürfen!
Hat Ihnen der Inhalt des Gesprächs gefallen? Dann lesen Sie den ersten Teil des Interviews , in dem Joe und Begoña darüber sprechen, wie die Methoden der Kontemplation die Welt der Psychotherapie ergänzen können.
Das Trainingsprogramm, das am 22. Oktober 2021 beginnt, wird in einer hybriden Form angeboten, die Online-Unterricht und Ressourcen, wöchentliche Konferenzen mit Residential Retreats kombiniert, welche hier in der Schweiz, im Landguet Ried, stattfinden werden.
Sind Sie vom umfangreichen Ansatz des Nalanda-Instituts fasziniert?
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